Digitale Barrieren

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Wie die Flut an Online-Meetings Hörgeschädigte belastet

März 2020: Corona. Erster Lockdown.

Nach der ersten Schockstarre durch die Wucht der Veränderungen verlagerte sich das Geschehen in vielen Unternehmen und Büros schnell in den Online-Bereich.

Vorher war es lange ausdrücklich nicht erwünscht, dass Begegnungen und Meetings nur online stattfinden, oder es hieß: „Grundsätzlich Ja, aber bei uns ist das nicht möglich.“

Doch dann musste alles ganz schnell gehen. Besprechungen, Fortbildungen, Vorlesungen, Tagungen und Unterricht, alles fand plötzlich im Netz statt, und das mit den unterschiedlichsten Videokonferenzsystemen. Eine Herausforderung für alle. Vor allem für die, die bislang noch keine oder nur wenige Erfahrungen mit diesen Systemen hatten und zu Hause nicht über die notwendige technische Ausstattung samt leistungsfähiger Internetanbindung verfügten.

Seitdem sind Online-Konferenzen fester Bestandteil unseres Alltags geworden, und der Umgang damit klappt mehr oder weniger gut.

Zusätzliche Barrieren

Für Menschen mit Hörschädigung ist die Verlagerung ihrer Kommunikationsaktivitäten in den Online-Bereich, ob beruflich oder privat, eine noch viel größere Hürde als für Guthörende. Denn die kognitive Last, die mit Online-Formaten verbunden ist, ist für hörgeschädigte Menschen sehr viel höher:

  • Verbale Erläuterungen zur Nutzung der digitalen Angebote sind für sie nicht im gleichen Umfang zu verstehen.
  • Die Tonqualität ist oft schlecht, der Ton abgehackt oder blechern.
  • Bei Online-Konferenzen ist das Mundbild der TeilnehmerInnen häufig nur schlecht oder gar nicht sichtbar.
  • Die Übertragung von Ton und Bild ist nicht immer synchron.
  • Nonverbale Informationen, die für das Verstehen wichtig sind, sind online nicht vorhanden.

Diese fehlenden Elemente in der Kommunikation können Mitschriften oder Untertitel ausgleichen und ergänzen. Und Guthörende brauchen das Verständnis und das Wissen um die Hürden, vor denen ihre hörgeschädigten Gesprächspartner stehen.

Doch leider erlebe ich in meiner Arbeit nicht selten, dass meine KundInnen regelrecht ausgegrenzt werden. Treten bei ihnen technische Schwierigkeiten auf, werden sie mitunter nicht ernst genommen oder übergangen. Verständigungsprobleme werden mit technischem Unwissen gleichgesetzt.

Als Schriftdolmetscherin leiste ich wie viele meiner KollegInnen über meine eigentliche Arbeit hinaus technischen Support, führe im Vorfeld zu Einsätzen mit KundInnen Tests durch und halte kleine Schulungen; immer wieder informiere, sensibilisiere und vermittle ich im Dialog mit anderen Gesprächspartnern und Kostenträgern. Eine Arbeit, die ich zwar gern im Sinne meiner KundInnen leiste, die aber meist nicht vergütet wird.

Einige Veranstalter verweisen unsere KundInnen auf die Nutzung automatisiert generierter Untertitel. Diese KI-gestützten Untertitel können in der direkten 1:1-Kommunikation eine sinnvolle Unterstützung bieten. In Live-Situationen mit komplexen Themen und vielen TeilnehmerInnen erreichen diese Tools jedoch bei weitem nicht die Qualität, die für unsere KundInnen für eine adäquate Teilhabe erforderlich ist. Hierzu müssen wir immer wieder Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit leisten.

Auch das Thema Datenschutz erschwert die Situation für Menschen mit Hörschädigung. Einerseits scheint die DSGVO bei der Vielzahl an eingesetzten Konferenzsystemen plötzlich nicht mehr so wichtig, Hauptsache, ein Online-Austausch ist möglich. Andererseits schotten viele Unternehmen und Behörden ihre Systeme nach außen ab. Mir als externer Dolmetscherin wurde der Zugang zu firmeninternen Videokonferenzen zunächst oft verweigert. Nur mit Beharrlichkeit und kreativen Lösungen hat es mit der Mitschrift für meine KundInnen dann doch noch geklappt.

Corona gefährdet Barrierefreiheit

Die Pandemie hat die notwendige Digitalisierung beschleunigt, was ich grundsätzlich begrüße.

Menschen mit Hör- und Kommunikationseinschränkungen sind durch die zunehmende Vielfalt und Geschwindigkeit in der täglichen Kommunikation aber über Gebühr belastet, und durch Corona spitzt sich ihre Situation weiter zu. Die Gefahr besteht, dass dabei die Barrierefreiheit auf der Strecke bleibt.

Es ist daher sehr wichtig, insbesondere Arbeitgeber, Kostenträger und Veranstalter für diese Problematik zu sensibilisieren. Der Anteil an Online-Terminen wird auch nach der Corona-Pandemie wahrscheinlich auf hohem Niveau bleiben. Hörgeschädigte Menschen brauchen deshalb niedrigschwellige Angebote mit Schriftdolmetschung und Untertiteln und müssen im Bereich der Digitalisierung fit gemacht werden. Hierbei kommt auch der Selbsthilfe eine große Bedeutung zu.

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Entlastung ist möglich

Es gibt einige sehr positive Beispiele für Maßnahmen bei Online-Formaten, bei denen nicht nur SchriftdolmetscherInnen ganz selbstverständlich mit dabei sind, sondern auch technisches und organisatorisches KnowHow vermittelt wird, z.B.

  • Schulungen zum Umgang mit Konferenztools
  • Übungs-Meetings
  • Technik-Check vor einem Event
  • Vorab zugängliche Handouts und Erklärvideos mit Untertiteln
  • Einhaltung verbindlicher Moderations- und Gesprächsregeln (Etikette)

Von solchen Maßnahmen profitieren alle, nicht nur Menschen mit Hörschädigung.

Hier möchte ich exemplarisch die Angebote des CIV BaWü nennen sowie die Veranstaltung SeelsOHRge LIVE der Evangelischen Schwerhörigenseelsorge.

Beide unterstützen ihre Mitglieder und TeilnehmerInnen professionell und auf Augenhöhe. Solch engagierte Angebote sollten im Sinne von Barrierefreiheit und Teilhabe selbstverständlich sein.

Das wünsche ich mir, auch für die Zeit nach Corona.

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Bildquellen:
© StockSnap & Jae Rue (designwebjae) bei Pixabay – bearbeitet von Kontextpartner

Über die Autorin

Autorenportrait Carmen

Ich bin Carmen Hick.

Als Schriftdolmetscherin unterstütze ich Ihre Kommunikation – individuell und in Ihrem persönlichen Umfeld.